Digitaler Bankrun auf Credit Suisse: Daran müssen Banken jetzt denken (2024)

Gastkommentar

Vor der Übernahme durch die UBS erlebte die Credit Suisse als erste Grossbank eine durch soziale Netzwerke befeuerte Vertrauenskrise. Banken und Regulatoren sollten auf die neue Gefahrenlage reagieren.

Digitaler Bankrun auf Credit Suisse: Daran müssen Banken jetzt denken (1)

Die am 19.März 2023 angekündigte Übernahme der Credit Suisse durch die UBS erfolgte nach massiven Abflüssen von Vermögen von Kundinnen und Kunden der Credit Suisse als Folge einer akuten Vertrauenskrise. Am Anfang dieser Entwicklung stand ein digitaler Bank-Run im Oktober 2022, bei dem die Bank innerhalb von zwei Wochen Kundengelder in der Höhe von insgesamt 84 Milliarden Franken verlor.

Auslöser waren Gerüchte in den sozialen Netzwerken, die die Solidität der Credit Suisse anzweifelten. Obwohl die Kapital- und Liquiditätskennzahlen zum damaligen Zeitpunkt den regulatorischen Vorgaben entsprachen und die Gerüchte damit faktenwidrig waren, hatten sie die weltweite Kundenbasis der Credit Suisse derart verunsichert, dass die Kunden ihre Einlagen reduzierten oder ihre Vermögen zu anderen Banken brachten.

Zwei Faktoren haben diese Entwicklung verstärkt: Erstens hatten die Skandale der vergangenen Jahre die Bank reputationsseitig verwundbar gemacht und dafür gesorgt, dass die Falschmeldungen bei Kunden auf fruchtbaren Boden stiessen. Und zweitens verfügen die meisten Kundinnen heute über einen digitalen Zugriff auf ihr Konto, wodurch Geld innert kürzester Zeit abgezogen werden kann.

Reale Bedrohung für Banken

Digitale sh*tstorms gegen Unternehmen sind an sich nichts Neues. Nestlé oder Pepsi haben sie gleichermassen erlebt wie der schwedische H&M-Konzern. Häufig ging es dabei um Werbeauftritte, die von Kunden und Social-Media-Nutzern als unethisch, nicht auf Nachhaltigkeit abzielend oder diskriminierend empfunden wurden.

Noch nie wurde aber die Solidität einer Bank – und dazu einer börsenkotierten, global tätigen Grossbank – auf Social-Media-Plattformen derart heftig debattiert und angezweifelt, wie dies bei der Credit Suisse im Oktober 2022 der Fall war. Für die verheerende Wirkung (Vermögensabflüsse) reichte es vollends, dass aufX (damals Twitter), Reddit und weiteren Onlineplattformen ein breiter Konsens darüber herrschte, dass die Credit Suisse nahe am Abgrund stehe. Die unmittelbare Verwundbarkeit durch die Verbreitung falscher Fakten zur Vertrauenswürdigkeit eines Geldinstituts unterscheidet den erlebten Sturm bei der Credit Suisse von allen bisher bekannten sh*tstorms gegen andere Unternehmen.

In der Zwischenzeit ist die Gefahr eines Social-Media-Sturms für Finanzinstitute, wie ihn die Credit Suisse im Oktober 2022 als erste Bank erlebte, auch bei der amerikanischen Silicon Valley Bank Wirklichkeit geworden. Diese musste am 10.März 2023 durch den amerikanischen Einlagensicherungsfonds FDIC geschlossen werden.

Für Banken kann ein Sturm in den sozialen Netzwerken also unmittelbar existenzbedrohend sein – darauf müssen sich deren Kommunikationsstellen und Regulatoren künftig vorbereiten. Die Nutzung von Social-Media-Kanälen fokussierte sich bei der Credit Suisse wie bei anderen Unternehmen in erster Linie auf die Positionierung der Bank und von deren Mitarbeitenden.

Soziale Netzwerke wie Linkedin sind als Mittel der Unternehmenskommunikation aus der Geschäftswelt nicht mehr wegzudenken. Sie geben Führungskräften die Möglichkeit, selbstgewählte Themen, Ereignisse und Erfahrungen mit ihren Kontakten zu teilen und positiv zu beleuchten. Häufig sind mit Linkedin-Posts auch die Mitarbeitenden gut zu erreichen: Der Chef oder die Chefin ist mit inspirierenden Statements sichtbar, bekräftigt die strategischen Ziele des Unternehmens oder drückt den Mitarbeitenden gegenüber Wertschätzung aus. Das kommt gut an – vorausgesetzt, es werden gewisse Grundregeln beachtet betreffend Thema, Häufigkeit und Tonalität der Posts.

Schlüsselfaktor bei der Krisenkommunikation

Die Vorbereitung auf einen potenziellen digitalen Bank-Run verlangt nun aber nach einem erweiterten Verständnis der sozialen Netzwerke und einem krisenfesten Set-up. Finanzdienstleister und ihre Kommunikationsverantwortlichen sollten im Minimum die folgenden Massnahmen treffen:

  • Integration von Social Media in den existierenden Krisenkommunikationsplan. Der Plan stellt sicher, dass die erforderlichen personellen und technologischen Ressourcen sowie externe Partner vorhanden sind, bevor es tatsächlich zu einem Sturm in den sozialen Netzwerken kommt. Zudem definiert der Plan die möglichen Reaktionsformen gegenüber ihren Stakeholdern auch auf allen anderen relevanten Kommunikationskanälen der Bank. Dazu gehört beispielsweise die Information von Kundinnen und Regulatoren oder Stellungnahmen gegenüber der Öffentlichkeit.
  • Etablierung eines Social-Media-Monitorings, wodurch im Ernstfall kostbare Zeit gewonnen werden kann, um die geeigneten Kommunikationsmassnahmen zu treffen, wie zum Beispiel die Vorbereitung von Stellungnahmen für Medien und Kunden.
  • Spezifisches Monitoring von speziell aktiven Social-Media-Akteuren, die mit ihren Posts regelmässig grosse Resonanz erzeugen. Ziel dabei ist, die wichtigsten Meinungsmacher und potenzielle Kritiker bereits vor einer Krise ausfindig zu machen.
  • Interne Schulungen von Entscheidungsträgern zu den Mechanismen, Möglichkeiten und Gefahren der sozialen Netzwerke.

Auf regulatorischer Ebene ist es ein realistisches Szenario, dass die Bankenaufsicht die sozialen Netzwerke seit den Fällen Credit Suisse und Silicon Valley Bank selbst engmaschiger überwachen und den Banken entsprechende Auflagen machen wird. Banken werden in Zukunft taugliche Konzepte für die Krisenkommunikation einschliesslich des Bereichs Social Media vorlegen müssen. Als Teil ihrer Überprüfung von Business-Continuity- oder Krisenmanagementplänen sollten Regulatoren auch die Kommunikationskonzepte prüfen.

Allerdings werden sich bei der Beurteilung der Qualität der Konzepte Umsetzungsfragen stellen angesichts der Tatsache, dass keine «Testläufe» in der Öffentlichkeit vorgenommen werden können und im Notfall eine sehr schnelle Reaktion seitens der Banken angezeigt ist, womit sich spezifische Kommunikationsabläufe kaum regulieren lassen.

Rückzugsbeschränkungen in Bezug auf Einlagen

Ein effizienteres Instrument zur Eingrenzung eines digitalen Bank-Runs könnten regulatorisch angeordnete Rückzugsbeschränkungen darstellen, indem man einen Teil der Bankeinlagen der unmittelbaren Verfügbarkeit der Kundinnen entzieht oder für die Auszahlung von Depositen eine substanzielle Gebühr vorsieht.

Die Herausforderung liegt allerdings in der Umsetzung. Denn um Konkurrenznachteile für einzelne Institute zu verhindern, müssten die Beschränkungen global eingeführt werden. Ohnehin dürfen sie nicht erst in Krisenzeiten eingeführt werden, weil sie sonst eine bestehende Vertrauenskrise verschärfen und weitere Kunden zum Run auf ein notleidendes Institut animieren könnten.

Es brauchte also eine umsetzungsfreundliche Regulierung, die für die Banken keine Wettbewerbsnachteile mit sich bringt und dem legitimen Kundenbedürfnis Rechnung trägt, über das bei der Bank deponierte Geld bei Bedarf schnell zu verfügen.

Dominique Gerster war zwischen 2005 und 2024 bei der UBS und der Credit Suisse in leitenden Funktionen der Unternehmenskommunikation tätig. Im Rahmen eines Executive-MBA-Studiums an der Universität St.Gallen befasst er sich gegenwärtig mit der Rolle der sozialen Netzwerke beim digitalen Bank-Run auf die Credit Suisse.

16 Kommentare

H. S.

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Nein Herr GersterJahrelanges Missmanagement durch die Geschäftsleitung und den Verwaltungsrat hat das Vertrauen in die CS nachhaltig geschädigt und zum CS GAU geführt.Auch mit der besten Krisenkommunikation wäre die CS nicht zu retten gewesen, sie hätte das sterben der CS nur etwas hinausgezögert.Genau sie müssten ja wissen, der Fisch stinkt immer vom Kopf (nur wenn man halt ein Teil des Kopfes ist...)

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Paul Buchegger

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Der VR und die GL der Credit Suisse haben wiederholt derart jämmerlich Milliarden in den Sand gesetzt, dass es gar keine sozialen Netzwerke mehr brauchte, um eine heftige akute Vertrauenskrise auszulösen. Ich jedenfalls habe nach Greensill und Archegos sofort die Reissleine gezogen. Da brauchte ich keinen Anstoss mehr von sozialen Netzwerken. "Wer Augen hat zu sehen, der sehe, und wer Ohren hat zu hören, der höre", ein uralter Ratschlag aus der Bibel.

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