EZB-Politik: Die erste Bank verlangt Strafzinsen - WELT (2024)

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Die erste Bank verlangt Strafzinsen von jedermann

| Lesedauer: 4 Minuten

Von Karsten Seibel

Wirtschafts- und Finanzredakteur

Ein Online-Broker bricht ein Tabu: Er berechnet ab Mitte März jedem Kunden Strafzinsen in Höhe von 0,4 Prozent – und das schon ab dem ersten Euro. Damit tritt ein, was die Branche stets fürchtete.

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Lange hat es gedauert, jetzt ist es passiert: Mit dem Online-Broker Flatex verlangt die erste Bank in Deutschland Strafzinsen von jedermann. „Wir führen zum 15. März einen Negativzins von 0,4 Prozent für all unsere Kunden ein“, sagt Frank Niehage, Vorstandschef der Fintech Group, zu der Flatex gehört. Das gelte unabhängig davon, wie viel Geld die Kunden auf dem Konto liegen hätten. Der Wertpapierhändler mit Vollbanklizenz ist damit der erste Finanzdienstleister in Deutschland, der einen solchen Zins ab dem ersten Euro berechnet.

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Strafzinsen für jeden Privatkunden waren bis dato in der Branche tabu. Die Verantwortlichen befürchteten für diesen Fall, dass Kleinsparer ihr Konto leer räumen, das Geld nach Hause tragen – und so den Banken verloren gehen würden. Schließlich ist es einem Kunden schwer zu vermitteln, warum er plötzlich dafür zahlen soll, dass er der Bank sein Geld zur Verfügung stellt – wo doch über Jahrzehnte hinweg Sparen oft sogar mit einem Zins belohnt wurde.

Nur bei höheren Einlagen legten Banken bislang schon ihre Hemmungen ab. Vorreiter war die kleine Skatbank aus Thüringen, die seit November 2014 ab einem Kontostand von 500.000 Euro einen negativen Zins berechnet. Im September 2016 senkte die Raiffeisenbank Gmund die Schwelle dann als erstes Institut auf 100.000 Euro – und nun also Flatex auf null Euro.

Flatex will die „Parkgebühren“ nicht mehr übernehmen

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Hintergrund ist die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Notenbank stellt Banken seit mehr als zweieinhalb Jahren Strafzinsen in Rechnung, wenn diese Geld bei ihr parken. Schließlich, so die Überlegung, sollen die Institute die Einlagen ihrer Kunden nicht horten, sondern als Kredite ausgeben, damit die Wirtschaft in Schwung kommt. Anfangs verlangte die EZB lediglich 0,1 Prozent, mittlerweile sind es 0,4 Prozent.

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Flatex ist nicht mehr bereit, diese „Parkgebühren“ für die Kunden zu übernehmen. Bei durchschnittlich rund 10.000 Euro Einlagen je Kunde verursache das Kosten von zehn Euro im Quartal, so Vorstandschef Niehage. Noch höhere Strafzinsen schließt er für die kommenden Monate und Jahre nicht aus. „Sollte die EZB nachlegen, werden wir den Negativzins erhöhen müssen“, sagt er. Umgekehrt werde man den Kunden aber auch wieder niedrigere Negativzinsen in Rechnung stellen, sollte die Notenbank ihren Strafzins senken.

Flatex ist insofern ein besonderer Fall, weil kein Kunde sein Geld dort hingebracht hat, um Zinsen zu kassieren. Flatex hat als Online-Broker nie Zinsen auf Einlagen gezahlt. Das Geld auf den Konten dient einzig zur Verrechnung von Wertpapiergeschäften. Verkauft ein Kunde beispielsweise Aktien, landet der Erlös dort, umgekehrt wird bei einem Kauf eines Wertpapiers der entsprechende Betrag von dort abgebucht.

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Bei Flatex zeigt man sich optimistisch, dass die meisten der 180.000 Kunden die Strafzinsen klaglos hinnehmen werden. Das hätten Kundenbefragungen im Vorfeld gezeigt. Zudem will man Kunden mit hohen Kontoständen nun verstärkt in Tages- und Festgeldangebote lotsen. Dort müssen sie dann keinen Zins zahlen, sondern bekommen etwas gutgeschrieben. Dass allerdings allzu viele Kunden jenes Geld, das sie eigentlich für den Kauf von Aktien und Fonds vorgesehen haben, dorthin transferieren, darf bezweifelt werden.

Gebührenerhöhung statt Strafzinsweitergabe

Ob überhaupt und, wenn ja, wie viele Nachahmer Flatex mit dem Strafzins für jedermann findet, wird sich zeigen. Die sehr viel größeren Online-Broker-Konkurrenten ING-Diba und Comdirect teilten umgehend mit, dass sie keine Pläne für Negativzinsen auf Kundeneinlagen haben. Auch bei den großen Filialinstituten Deutsche Bank und Commerzbank hieß es bislang stets, dass man sich Strafzinsen für Kleinsparer nicht vorstellen könne.

Viele Institute, vor allem Sparkassen und Genossenschaftsbanken, haben sich ohnehin bereits für einen anderen, weniger offensichtlichen Weg entschieden: Statt einen Strafzins zu erheben, erhöhten sie in den vergangenen zwei Jahren reihenweise die Gebühren für das Girokonto. Auf diese Weise versuchen sie, die bei der EZB anfallenden Parkkosten auszugleichen.

Eine weitere Variante im Kampf gegen die allgemeine Zinsflaute brachte unlängst die sozial-ökologische GLS Bank aus Bochum ins Spiel. Als erstes Kreditinstitut in Deutschland verlangt sie seit Jahresanfang von allen Kunden eine Jahresgebühr in Höhe von 60 Euro. Diese fünf Euro pro Monat kommen zu den ohnehin anfallenden Bankgebühren hinzu – beispielsweise zu den monatlich 3,80 Euro Kontoführungsgebühr. Negative Zinsen sind dadurch dort kein Thema.

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