Die Deutsche Bundesbank ist verwundert über die geringe Risikovorsorge der Geschäftsbanken. Sie ermahnt die Institute, sich auch auf eine sehr deutliche Verschlechterung des Umfeldes einzustellen und deshalb nur vorsichtig Gewinne auszuschütten.
Michael Rasch, Frankfurt
An den Finanzmärkten braut sich ein potenziell explosives Gemisch zusammen: Gedämpfte Wachstumsaussichten und eine drohende Rezession, hohe Inflationsraten und steigende Zinsen sowie nach oben schiessende Risikoprämien sind die Ingredienzen dafür. Aufgrund von bisherigen Preiskorrekturen haben Banken, Versicherungsgesellschaften und Anlagefonds bereits Verluste erlitten.
Die Deutsche Bundesbank hat am Donnerstag nun ebenfalls eine substanzielle Verschlechterung des makrofinanziellen Umfeldes konstatiert und Banken sowie andere Marktteilnehmer aufgefordert, sich darauf einzustellen und die Auswirkungen einer sich deutlich verschlechternden Lage für das eigene Geschäft zu prüfen.
Vergleich mit Ölpreisschock der 1970er Jahre
«Gas kann man nicht durch Geld ersetzen», sagte die Bundesbank-Vizepräsidentin Claudia Buch bei der Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts 2022. Angesichts der bereits prognostizierten leichten Rezession in Deutschland könne vor allem eine Verschärfung der Energiekrise die Realwirtschaft massiv belasten. Dabei wäre eine Rationierung von Gas besonders problematisch, sagte sie, weil man dieses nicht durch Geld ersetzen könne.
Buch verwies darauf, dass 95 Prozent des deutschen Gasverbrauchs durch Importe gedeckt werde. Die bereits eingetretenen Verschlechterungen der sogenannten Terms of Trade (Verhältnis zwischen dem Preis, den man für Importe bezahlt, und dem Preis, den man für Exporte erhält) seien vergleichbar mit dem Ölpreisschock in den 1970er Jahren. Die höheren Kosten für Energie könnten innerhalb des Landes nur umverteilt werden, was Privathaushalte und Unternehmen finanziell stärker belaste und Kreditrisiken erhöhe.
Dazu gesellen sich aufgrund der massiven Inflationsraten höhere Nominalzinsen. Dies ist für viele Banken, die mit unterschiedlichen Laufzeiten und Konditionen von Krediten ihre Geschäfte machen und Geld verdienen (Fristentransformation), zwar eine positive Entwicklung. Allerdings steigen auch die Risiken in den Kreditbüchern, weil die höheren Zinsen die Kreditnehmer zusätzlich belasten.
Die EZB setzt die Zinserhöhungen in kleinen Schritten weiter fort
Entwicklung des Einlagensatzes seit dem Jahr 2000, in Prozent
Quelle: Deutsche Bundesbank
NZZ / ra.
Der Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling zeigte sich daher verwundert, dass die Risikovorsorge der Banken bisher wenig ausgebaut worden sei. Die Bundesbank forderte die Finanzinstitute deshalb dazu auf, angesichts der hohen Unsicherheit eine umsichtige Risikovorsorge zu betreiben und nur vorsichtig Gewinn an die Aktionäre auszuschütten.
Die zunehmenden Risiken im Finanzsystem sind bereits seit der Pandemie und besonders verstärkt seit diesem Jahr ein Thema für die Aufsichtsbehörden. Die deutsche Finanzaufsicht (Bafin) hatte schon im Januar ein sogenanntes makroprudenzielles Massnahmenpaket beschlossen. Sie erhöhte erstens den antizyklischen Kapitalpuffer für Banken um 75 Basispunkte für inländische Risikopositionen.
Zudem legte sie zweitens einen sektoralen Systemrisikopuffer in Höhe von 2 Prozent für Kredite fest, die mit inländischen Wohnimmobilien besichert sind. Sie zollt damit den auf dem Immobilienmarkt vermuteten Risiken Tribut, die in den vergangenen Jahren aufgrund des rasanten Preisanstiegs entstanden sein könnten. Darüber hinaus mahnten die Finanzaufseher die Institute, konservative Standards bei der Kreditvergabe zu verwenden.
Aktivierung der Systemrisikopuffer
Mit ihren Sorgen sind die deutschen Aufsichtsbehörden nicht allein. In diesem Jahr haben bereits vierzehn Länder in der EU den antizyklischen Kapitalpuffer erhöht oder dies angekündigt. In drei Ländern wurden Systemrisikopuffer aktiviert, und fünf Länder haben angekündigt, kreditnehmerbezogene Instrumente zu nutzen. Auch in der Schweiz hatte der Bundesrat im Januar dieses Jahres den antizyklischen Kapitalpuffer für Banken reaktiviert.
Eine Freigabe der makroprudenziellen Puffer erachtet Buch für Deutschland aber bisher noch nicht als nötig. Dies wäre angezeigt, wenn im Finanzsystem signifikante Verluste eintreten oder sich diese klar andeuten würden und deshalb eine übermässige Einschränkung der Kreditvergabe im Bankensystem drohte.
Vor einer Woche hatte bereits die Europäische Zentralbank (EZB) vor den «multiplen Herausforderungen» für Unternehmen und Privathaushalte gewarnt und dabei auch die wirtschaftliche Schwäche, die höhere Inflation und die schlechteren Finanzierungsbedingungen genannt. Zudem verwies die EZB darauf, dass die sinkende Liquidität im Markt das Risiko von ungeordneten Preisanpassungen, sprich Kursturbulenzen bei verschiedenen Vermögenswerten, nach sich ziehen könnte. Diese sei eine Herausforderung für die Widerstandsfähigkeit von Anlagefonds.
In Grossbritannien waren vor wenigen Wochen verschiedene Pensionsfonds aufgrund überraschender Ankündigungen der Regierung in so starke Turbulenzen geraten, dass die Bank of England stabilisierend hatte eingreifen müssen. So weit ist es in Deutschland bisher nicht gekommen. Dennoch wäre es aus Sicht von Claudia Buch eine gute Nachricht, wenn sie bei der Vorstellung des nächsten Finanzstabilitätsberichts im Herbst 2023 nicht mitteilen müsste, dass die Kapitalpuffer wegen einer Krise freigegeben werden mussten.
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